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Donnerstag, 2. Februar 2012

Apocalypse Now: Herz der Finsternis

Am 24. Juni 1902 wirft Joseph Conrad versehentlich eine Öllampe auf dem Schreibtisch um, und die Lieferung seines Romans "Das Ende vom Lied" steht in Flammen. Im selben Jahr erscheint  sein legendärer Roman "Herz der Finsternis" ("Heart of Darkness"), Vorlage für "Apocalypse Now".

Herz der Finsternis. "Heart of Darkness" ist zuerst in einer Zeitschrift noch im 19. Jahrhundert erschienen, als Buch drei Jahre später, nämlich 1902. Joseph Conrad schildert in seiner weitgehend autobiografischen Erzählung realistisch, mit einfühlsamer Beobachtungsgabe und treffenden Formulierungen eine strapaziöse und gefährliche Reise nach Zentralafrika, in das "Herz der Finsternis" – eine Metapher für die Abgründe der eigenen Seele. Der Rahmen der Erzählung: Kapitän Marlow befindet sich auf einem Boot auf der Themse und erzählt seinen Zuhörern von seiner Reise ins tiefste Afrika mit einem alten Dampfschiff den Kongo hinauf. Er will den todkranken Kurtz, einen skrupellosen Elfenbeinhändler, aus dem Dschungel in die Zivilisation zurückbringen.

Es gelingt ihm die Konstruktion eines Mythos, einer Geschichte, die weit über die persönlich-aktuelle Ebene hinausgeht. Es geht dabei nicht um die Afrikaner, sondern um den Repräsentanten der Zivilisation, der in einer barbarischen Gesellschaft der Versuchung der Macht erliegt und sich zum König, ja schließlich zum Gott erhebt. Während dieses Prozesses verliert er jedoch die dünne Schale der Zivilisation und mutiert selbst zum "Wilden". Mit dem Überschreiten dieser Grenze - besonders in extremen Situationen - beschäftigte sich Conrad immer wieder. 1890 besuchte er am oberen Kongo das Grab von Major Edmund Musgrave Barttelot, dem Helden der britischen Armee und Sohn eines Parlamentsabgeordneten, der als Kommandeur von Stanleys Nachhut gerade zwei Jahre zuvor in sadistischen Orgien den Verstand verloren haben musste.
Im Gegensatz zu Edmund Morel, Roger Casement, Mark Twain oder Arthur Conan Doyle, die die Gräueltaten in Königs Leopolds Kolonie anklagten, interessierte sich Conrad mehr für die Psyche der Täter, die aus seinem eigenen sozialen Umfeld kamen. Und dabei gelang es ihm "den Schrecken" eindringlicher und dauerhafter zu vermitteln. Die Standard Literaturredaktion sagt es so: "Der Urwald wird hier zur Seelenlandschaft, zum undurchdringlichen Dickicht archaischer Begierden. Herz der Finsternis, ein Jahr vor Freuds Traumdeutung von 1900 erschienen, wirkt wie das literarische Erwachen des Unbewussten. Es ist ein grauenvolles Buch im Wortsinn: Das Grauen fällt den Leser an wie ein Raubtier aus dem Unterholz. Und das Schlimmste ist: Jeder trägt diesen Urwald in sich."
 Link ➨        Biografie Joseph Conrad bei Wikipedia
Ein König als Oberhalunke. Der Kongo als "Staatswesen" ist ein Produkt der Berliner Kongo-Konferenz von 1885. Durch Bestechung und Intrigen brachte König Leopold II. von Belgien zahlreiche europäische und amerikanische Zeitungen dazu, Lobeshymnen auf sein humanitäres Engagement zu publizieren. Durch falsche Versprechungen, etwa die Zusage, er werde den Kongo zur Freihandelszone erklären, durch listiges Taktieren und Ausspielen der Großmächte gegeneinander erreichte er es, dass am Ende der Berliner Konferenz vom Februar 1885 - an der weder ein Afrikaner teilnahm noch jemand, der Afrika bereist hatte - ein Abkommen unterzeichnet wurde, das ihm den Kongo als Privateigentum zusprach. Der Kongo wurde nicht einmal zur Kolonie Belgiens (dessen konstitutionelle Verfassung und das Parlament hatten gar kein Interesse daran) sondern zum Privateigentum des belgischen Königs!
Türkei gegen die christliche Mörderzivilisation. Am 23. Februar 1885 wurde die "Afrikanische Internationale Vereinigung zur Zivilisierung Afrikas" (dessen einziges Mitglied der belgische König Leopold II. war) durch die Teilnehmerstaaten an der Berliner Afrika-Konferenz als souveräner Staat anerkannt. Die westlichen (christlichen Staaten) stimmten zu, nicht jedoch das (islamische) Osmanische Reich, also die heutige Türkei!
 Link ➨        Artemis am Congo  
"Ganz Europa", so Charles Marlow in Joseph Conrads Roman "Herz der Finsternis" über den machtgierigen Elfenbeinlieferanten Kurtz, für den es viele reale Vorbilder gab, "ganz Europa war am Zustandekommen des Herrn Kurtz beteiligt gewesen." Wie es zu einem der grössten Menschheitsverbrechen kam und welchen Anteil die westliche Welt an dem Zerstörungswerk Leopolds II. und seiner Vasallen im Kongo hatte, darüber schweigen sich die, weche heute in Fortsetzung dieser Politik Truppen in den Kongo schicken, aus. Schon Leopold II. hatte für die Berliner Konferenz nicht anders als heute mit "humanen" Anliegen argumentiert: Es gelte, den "arabischen" Sklavenhandel zu unterbinden, die Wissenschaft zu fördern und "die Wilden" zu kultivieren.

Leopold II. von Belgien (verheiratet mit einer Habsburgerin) heuerte Söldner an und beutete den Kongo derart aus, dass sich die Bevölkerung unter seinem Regime um 10 Millionen Menschen halbierte. Dörfer wurden überfallen, und die Bewohner erhielten den Auftrag, eine bestimmte Menge Gummi zu sammeln, sonst würde das ganze Dorf niedergebrannt. Wer zu fliehen versuchte, wurde erschossen. Als Beweis für den Verbrauch von Gewehrkugeln mussten die Truppen für jede verbrauchte Kugel die Hand des Opfers vorlegen. Die Hände wurden deshalb auch Lebenden abgehackt. Im Grunde funktioniert dies so bis heute unter den vom Westen unterstützten Diktatoren. Die Entsendung von Truppen zur Sicherung von freien Wahlen ist dieselbe Farce wie die Wahlen selbst. Den nach der Staatswerdung Kongos 1960 eingesetzten Präsidenten Lumumba, der eine politisch und ökonomisch unabhängige Politik betreiben wollte, brachte man dazu einfach um und setzte den dafür gedungenen Mörder als Präsidenten ein.
  Ein neuer Staat

Der Congostaat ist fertig nun,
Die Grenzen sind bestimmt;
Nun frägt sich's was zuerst zu thun,
Und wie man sich benimmt?

Ein Dutzend Klöster rasch erbaut,
Und diese auf der Stell'
Den Jesuiten anvertraut,
Das andere geht dann schnell

Schnell Congo-Rente emittiert,
Million auf Million,
Die Congo-Zeitung confiscirt,
Die erste Nummer schon.

Und schnell die Steuerschraube her
Drauf losgepresst geschwind,
Bis auch die Weißen kreuz und quer
Hübsch schwarz geworden sind.

aus "Humoristische Blätter" Wien, 8. März 1885

Die Berliner Kongo-Konferenz hatte Bedeutung weit über den Kongo hinaus und forcierte die Kolonialiserung und willkürliche Aufteilung Afrikas. Von da an gab es keine unkoordinierte Besetzung mehr, sondern durchdachte und gut organisierte Ausplünderung. Die Ausbeutung war nicht mehr sporadisch, sondern durch die Enteignung der autochthonen Bevölkerungen systematisch und permanent. Für Deutschland bedeutete de Kongo-Akte schlussendlich auch das "Tauschgeschäft" Sansibar gegen Helgoland, da sie auf Sansibar nach dem in diesem Vertrag festgelegten Effektivitätsprinzip nicht wirklich beherrschen konnten.

Josef Teodor Konrad Nalecz Korzeniowski. Der Autor Joseph Conrad (eigentlich Josef Teodor Konrad Nalecz Korzeniowski) wurde am 3.12.1857 als Sohn polnischer Landsleute in Berdiczew bei Kiew (Ukraine) geboren. Conrads Kindheit und Jugend standen unter dem Eindruck und dem Einfluss der Tatsache, dass sein Vater aus den Reihen der polnischen Freiheitsbewegung jener Zeit heraus verhaftet und nach Sibirien in die Verbannung geschickt wurde. Ohne Zweifel sind in diesem frühen Erlebnis die Anfänge einer Entwicklung zu suchen, die Conrad aus der Heimat fort in seine Wahlheimat England führte, der er nach eigenem Bekenntnis alles Wesentliche seines Lebens verdankte und in deren Sprache - ! - er später das Werk seines Lebens erdachte und niederschrieb.

Mit Gattin & Sohn
Er besuchte das Gymnasium in Krakau und ging mit siebzehn Jahren nach Marseille, um Seemann zu werden. England lernte er erst drei Jahre später, im Jahre 1897, persönlich kennen. Als britischer Kapitän befuhr er die Weltmeere und bereiste den Kongo und die Malaiischen Inseln, Schauplätze seiner späteren Romane. Schon als Seeoffizier begann er zu schreiben. Als ein tropisches Fieber ihn zwang, den Seemannsberuf aufzugeben, ließ er sich 1894 als freier Schriftsteller in England nieder. Die englische Sprache, englisches Denken und Fühlen wurde ihm zur zweiten Natur. Eine entscheidende Wendung in seinem Leben brachte dann die Krankheit, die seiner Laufbahn zur See ein Ende setzte und ihn seinem wahren Beruf als Schriftsteller und Dichter zuführte. In den folgenden dreißig Jahren entstanden - oft unter großer materieller Not - die berühmten Romane und Geschichten dieses Autors, der, obwohl er die englische Sprache erst als Erwachsener erlernt, was die Hirnforscher noch heute beschäftigt, zu den großen Meistern der englischen Literatur zählt. Conrad starb am 3. August 1924 in Bishopsbourne/Kent.

Als die bedeutendsten unter den Werken Conrads seien genannt: "Lord Jim", "Nostromo", "Der Nigger vom Narzissus", "Sieg", "Geschichten vom Hörensagen", "Die Schattenlinie" und "Spiegel der See". In Deutschland wurde Conrad vor allem durch die in den zwanziger Jahren im Verlag S. Fischer, Berlin, erschienene Gesamtausgabe der Werke Conrads bekannt. Über seinen Lebensgang hat er selbst in der Autobiographie "Ein persönlicher Bericht" Aufschluss gegeben. Ebenso geschieht das in dem Buch der Erinnerung, das Jessie Conrad, die Gattin Conrads, mit dem Titel "J. Conrad As I Knew Him" veröffentlicht hat.


Apocalypse Now. Das "Herz der Finsternis"  regte Francis Ford Coppola zu seinem monumentalen Filmepos "Apocalypse Now" an. Dabei verlegte er die Handlung vom Kongo nach Vietnam und Kambodscha und von 1891 ins Jahr 1968: Ein Helikopter-Angriff zu Wagners Walkürenritt, brennender Dschungel und ein wahnsinniger General, einfach Apocalypse now! Das psychologische Kriegs-Drama ist einer der besten und berühmtesten Filme. Nur wenige wissen, dass für die Reise im Boot flussaufwärts und damit immer tiefer in die eigene Psyche Joseph Conrad mit "Herz der Finsternis" die Roman-Vorlage lieferte, die heute als eines der Initialwerke der Literatur des zwanzigsten Jahrhunderts gesehen wird.
23.6.11/3.2.12/ 

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