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Mittwoch, 27. Juli 2011

Der gebrandmarkte Heiligenschnitzer

Der Wickelsche Kruzifix in St. Sebald (Nürnberg) entstand durch den Bildschnitzer Veit Stoß um 1520. Der im Inneren entdeckte Papierzettel sagt dazu, am 27. Juli 1520 sei "dieser got auff gericht durch Niklos Wickel". Ein OP-Team suchte erst kürzlich an einem anderen Kruzifix einen solchen Zettel.


Arzt und Krankenschwester. Auf dem Hauptaltar der Kaiserkapelle (Nürnberg) befindet sich ein aus Lindenholz geschnitztes und farbig bemaltes Kruzifix. Dieses bedeutende spätgotische Kunstwerk wird dem berühmten Bildhauer Veit Stoß zugeschrieben. Einen eindeutigen Beweis für die Urheberschaft von Veit Stoß für das Kruzifix der Kaiserburg gibt es nicht. Der stilistische Vergleich mit anderen Skulpturen aus seiner Hand legt diesen Schluss aber sehr nahe. Auch die lebensechte Ausgestaltung anatomischer Details ist ein wichtiges Merkmal der Bildhauerkunst von Veit Stoß. Bei der Restaurierung versuchte man, ähnlich dem Winkelschen Kruzifix, einen Beweis dafür zu finden. Bei der Untersuchung mit einem Endoskop, das durch ein Loch im Armansatz in die abgedeckte Aushöhlung des Korpusses eingeführt wurde, kam ein verborgener Zettel zum Vorschein. Ein OP-Team, bestehend aus Arzt und Krankenschwester, barg das Papier. Das tatsächlich auch aufgefundene Fragment gibt allerdings keinen Aufschluss über die Urheberschaft oder sonst erkennbarem Zusammenhang zum Kruzifix.
Link ➨          Biografie Werkverzeichnis Veit Stoß
Veit Stoß.  Veit Stoß (ca. 1447 bis 22.9. 1533) - deutscher Bildschnitzer im Zeitalter der Reformation - wurde um 1447/48 im schwäbischen Horb am Neckar geboren. Seine Wanderjahre in Schwaben und am Oberrhein brachten ihn mit der Ulmer Bauhütte, Hans Multscher und Jörg Syrlin, vor allem aber mit der über Nikolaus Gerhardt von Leyden vermittelten realistischen Kunst der niederländischen Bildhauerei in Kontakt. Er wirkte nach den üblichen Wanderjahren ab 1473 in Nürnberg. Er heiratete dort und auch sein ältester Sohn, Andreas, kam in Nürnberg zur Welt. 1477 gab er sein Nürnberger Bürgerrecht auf und zog nach Krakau.

Krakau. Nach der Übersiedelung nach Krakau entstanden die ersten prominenten Werke von Stoß und sein gewaltiges Hauptwerk: 1477-1489 schnitzte er in Krakau den riesenhaften, 16 Meter hohen und 11 Meter breiten Flügelaltar für die deutsche Marienkirche, den umfänglichsten europäischen Altar des 15. Jahrhunderts, für den er 2008 Gulden erhielt und dazu das Grabmal für König Kasimir IV. Jagiello in der Kathedrale auf dem Wawel. Der Stadtschreiber Johann Heidecke betonte, alle Christenheit rühme den Meister. 1481 kaufte Stoß ein Haus in Krakau. 1483 wurde er vom Krakauer Rat "um seiner Tugend und Kunst willen" von allen Steuern befreit und zum ständigen Berater des Rates für Bau-Angelegenheiten ernannt. 1490 und 1494 tritt er als Sachverständiger in Baufragen in Erscheinung.
Link ➨          Veit Stoß - Fränkische Sagen - Projekt Gutenberg
Orts- und Zeitwechsel. Wie eindrucksvoll sein Krakauer Werk bis ins 20. Jahrhundert wirkte, wird an anderer Stelle beschrieben. Dass der ehemals kämpferische Atheist Alfred Döblin sich schließlich der Religion und dem Katholizismus zuwandte, wird auch mit dem Stoß'schen Marienaltar in Krakau in Verbindung gebracht. Tief beeindruckt war er von der polnischen Madonnenverehrung, von der Krakauer Marienkirche und dem Kruzifix des Veit Stoß hoch über dem Mittelschiff. Diese Szenerie hat er im dritten Band der Südamerika-Trilogie noch einmal beschworen. Sie trat ihm verwandelt wieder vor Augen, als er 1940 auf der Flucht durch Frankreich in einem Flüchtlingslager gestrandet war, der Verzweiflung anheim zu fallen drohte und vor dem Kruzifix in der Kirche von Mende zu erkennen glaubte, dass seine bisherige Weltanschauung ihm nicht weiterhalf. ("Alfred Döblin und das Judentum" - Aus Anlass seines 125. Geburtstages Von Klaus Müller-Salget)

Wieder in Nürnberg. 1496 zog er mit seiner Frau Barbara und acht Kindern nach Nürnberg zurück, wo er für drei Gulden das Bürgerrecht zurückerwarb. Er schuf dort bedeutende Ausstattungsstücke für verschiedene Kirchen wie den berühmten "Englischen Gruß" in Sankt Lorenz. 1500 bis 1503 schuf Veit Stoß einen Altar für die Pfarrgemeinde Schwaz in Tirol. Doch dieses Werk ist bis auf zwei Gesprengefiguren leider der Barockisierung des Gotteshauses zum Opfer gefallen.
Link ➨          Überblick über die wichtigsten Werke von Veit Stoß (Abbildungen)
Brandmarkung. Das Leben von Veit Stoß in Nürnberg wird als skandalumwittert beschrieben. Im Projekt Gutenberg ist eine fränkische Sage um Veit Stoß wiedergegeben, wonach er bei einem Raufhandel einen Trinkkumpanen erstochen habe, deshalb nach Krakau zog und dort mehr als ein Jahrzehnt blieb. Erst als man ihm wegen des Totschlages in seiner Jugend Straflosigkeit durch den Rat zusicherte, soll er nach Nürnberg zurückgekehrt sein. Gesichert scheint hingegen folgender Sachverhalt: Nach gescheiterten Geldgeschäften fälschte er einen Schuldschein. Er ahmte Unterschrift und Siegel eines Kontrahenten nach und landete am 10. November 1503 deshalb im "Lochgefängnis". Am 4. Dezember 1503 wurden nach seinem Geständnis beide Wangen mit glühendem Eisen durchstoßen.
Link ➨         Das Spätgotische Kruzifix in der Kaiserkapelle (pdf)           

Innsbrucker Hofkirche. Diese entehrende Strafe der Brandmarkung hatte Folgen für sein weiteres Wirken. Nachdem er vom Henker gebrandmarkt war, galt der exzentrische Künstler als Einzelgänger, als gesellschaftlicher Außenseiter. Für seinen Ehrgeiz und seine Willensstärke sprechen seine berühmten späten Werke, wie etwa der "Englische Gruß" in St. Lorenz, das so genannte "Wickel'sche Kruzifix" in St. Sebald und der Altar für die Karmeliterkirche, der sich heute im Bamberger Dom befindet. 1516 schuf Stoß den Rochus für die Annunziatakirche in Florenz, den der erste Kunsthistoriker, Vasari, als ein "Wunder der Holzarbeit" bezeichnete. Im Gefolge eines Gnadenbriefes an den kunstsinnigen Kaiser Maximilian I. wurde er 1512 auch zur Planung des mit Bronzefiguren umstellten Kaisergrabes in der Innsbrucker Hofkirche herangezogen. Doch die Nürnberger Rotgießer verweigerten dem missliebigen Mann die notwendige Mitwirkung. So stammt nur die Figur der Zimburgis von Masowien in der Reihe der Innsbrucker Grabmalfiguren von ihm. 1525 wurde Veit Stoss wegen seiner reformationsfeindlichen Ansichten aus Nürnberg ausgewiesen.

 
Zeit des Umbruchs. Seine letzte große Arbeit, der "Bamberger Altar", entstand 1520-23. Hier zeigt sich bereits deutlich die neue Raum- und Körperauffassung der Renaissance; im Vergleich zu den spätgotischen Arbeiten des Meisters wirkt alles gemäßigter, in sich ruhender. Generell sind die Werke des Veit Stoß voller Pathos, sein ins Detail gehender Realismus und die Übersetzung religiöser Motive in dynamische Aktion wurden von keinem Bildhauer seiner Zeit übertroffen. Das Ende des 15. Jahrhunderts war die Zeit des Umbruchs von der Spätgotik zur Renaissance, eine Blütezeit der Kunst. Veit Stoß reiht sich ein in diese Liste hervorragender Künstler. Er schaffte Altäre, Kruzifixe und zahlreiche andere Bildwerke, die als Inbegriff der Bildhauerkunst seiner Zeit gelten. Die Ausdruckskraft und die handwerkliche Meisterschaft seiner Kunstwerke ist enorm - mit größter Raffinesse und Virtuosität entlockte Stoß dem Material feinste Details. Er starb am 22. September 1533 in Nürnberg.

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